Dissertationsprojekt von Immanuel Brockhaus

Kultsounds. Untersuchung zur Entstehung, Praxis und Wirkung dominierender Einzelklänge in  populärer Musik von 1960-2014.


Es ist noch weitgehend ungeklärt, welche Einzelklänge für die Pop & Rockmusik prägend sind und wie sich deren Entstehung und Entwicklung gestaltet. Diese Untersuchung geht von zwei Hypothesen aus: Es existieren dominierende Klänge, die in direkter Verbindung mit technologischem Wandel durch die Elektrifizierung, Digitalisierung und Virtualisierung stehen. Solche Sounds entstehen signifikant häufig durch „unsachgemässe“, extreme oder zufällige Verwendung von Instrumenten und Technologie. Dieses Projekt sichtet, sammelt, kategorisiert und untersucht die Gestalt prägender Einzelsounds unter den Aspekten der Klangfarbe, Anwendung, Entwicklung und Verbreitung in multilokalen Kontexten. Abschliessend sollen Zukunftsszenarien in Bezug auf neue Sounds, Instrumente und Spieltechniken in populärer Musik aufgezeigt werden. Eine Projektwebsite dokumentiert die laufenden Forschungsergebnisse.

An investigation about the origins, practical ap­plications and effects of dominant individual sounds in popular music between 1960 and 2014. It remains largely unexplained, what the defining sounds for popular music are and how they are created and developed. This investigation is based on two hypotheses: there are dominant sounds, which are directly related to technological change through electrification, digitalization and virtualization. Such sounds are significantly often created by improper, extreme or coincidental uses of instruments and technologies. This project views, collects, categorizes and examines the sound form of dominating single sounds with regard to aspects of timbre, application, development and distribution in multi-local contexts. Finally, it aims to show possible future scenarios in relation to new sounds, instruments and playing techniques in the field of popular music. A project website documents actual research results.

In der populären Musik hat der Sound seit den 1950er-Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Das Erforschen von Sounds und die intensivere Auseinandersetzung mit Technologien haben traditionelle musikalische Denk- und Handlungsstrukturen abgelöst. Für Künstlerinnen und Produzenten ist die Suche nach eigenen, unverkennbaren Sounds ein zentrales Anliegen geworden. In der Wissenschaft hingegen ist noch nahezu unerforscht, welche Einzelsounds die Geschichte der populären Musik prägten und bis heute prägen. Wie ist etwa der E-Piano-Sound des DX7-Synthesizers entstanden und welche Faktoren entschieden und entscheiden über seine Akzeptanz, Übernahme und Weiterentwicklung?
Das geplante Vorhaben untersucht diese Fragen transdisziplinär und setzt auf Theorien und Methoden aus Musikethnologie, Actor-Network Theory und Soundanalyse. Aus den jeweils ersten 40 Plätzen der Billboard Top 100 Singles von 1960–2013 werden 20 Kultsounds herausgefiltert, detailliert analysiert und beschrieben. Mittels Interviews mit Herstellern, Musikerinnen, Produzenten, Tontechnikerinnen und Journalisten wird danach die Entwicklung von fünf „Kultsounds“ exemplarisch nach- gezeichnet. Die Verbreitung dieser fünf Kultsounds wird in internationalen Expertennetzwerken über den euro-amerika-nischen Raum hinaus untersucht. Schliesslich wird an einem repräsentativen Fallbeispiel detailliert untersucht, welche unter- schiedlichen Bedeutungen ein „Kultsound“ in unterschiedlichen geographischen und kulturellen Kontexten annehmen kann. In einem Symposium werden dann zum Abschluss Zukunfts- perspektiven von „Kultsounds“ diskutiert.

Zur Zeit sind der E-Piano Sound des DX 7 Synthesizers, das Orchestra Hit Sample und der Moog Lead Sound des Stückes „Popcorn“ näher untersucht. Neue Klangtypologien für populäre Musik wurden als Vorschlag ausgearbeitet. Klangliche Referenzpunkte auf der Basis musikkultureller Entwicklungen wie Subkultur, Gegenkultur, Alternative, Avantgarde, Mainstream, Trash und Camp sind gesetzt. Damit werden Soundkodierungen einzelner Genres und Stile herausgearbeitet, die dann mit den Ergebnissen der Hauptuntersuchung verglichen werden können. Im moment findet die Hauptuntersuchung von 2200 Songs der Top 40 Singles aus den Billboard Charts 1960-2014 statt.
 

Dieses Forschungsprojekt möchte den Fokus der Forschung populärer Musik auf die genauere Betrachtung von Soundkomponenten lenken. Dies dient der weiteren Auseinandersetzung mit Sound als konkreten und fassbaren Teil von Pop & Rockmusik. Bisher wurden weitgehend vage Betrachtungen über den Gesamtsound eines Genres oder einer Band zum Ausdruck gebracht, ohne dabei die direkten Einzelkomponenten zu benennen und zu analysieren.  Die Auswirkungen technologischer Innovationen in Bezug auf die Akteure im Produktions- und Rezeptionsprozess sollen deutlicher berücksichtigt werden. Der Umgang mit einzelnen Sounds aus der Perspektive der Akteure Künstler, Produzent, Tontechniker und Hörer und deren Effekt auf die Entwicklungen von populärer Musik im glokalen Kontext sind ein neuer und wichtiger Ansatz zum Verständnis aktueller Musik.

Email: immanuel.brockhaus@hkb.bfh.ch

Partner:
TU Braunschweig                                                                 
Universität Paderborn                                                        
Leuphana Universität Lüneburg
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