Am 17. September 2016 veranstaltet das Institut für Musikwissenschaft der Universität Bern im Rahmen des XVI. Internationalen Kongresses der Gesellschaft für Musikforschung: „Wege der Musikwissenschaft“, 14. bis 17. September 2016, eine internationale Tagung zum Thema:
Schliessen – Enden – Aufhören. Musikalische Schlussgestaltung als Problem in der Musikgeschichte.
Organisation und Leitung: Sascha Wegner (Bern) & Florian Kraemer (Gütersloh)
Einen Programmflyer mit weiteren Informationen zum Download finden Sie hier: Flyer (798 KB).
Abstract:
„Das Ende ist das ästhetische Versprechen, dass etwas nicht einfach beliebig ist.“
(Uwe Timm)
Die Frage der Schlußgestaltung in der Musik stellt sich in immer wieder neuen Konstellationen auf vielfältige Weise. Ganz gleich ob in Phrasen-, Satz- oder Werkschlüssen – in der Musikgeschichte und -gegenwart erscheinen die elementaren und ästhetischen Fragestellungen formaler Schlußgestaltung grenzenlos: Finale Setzungen können als syntaktisches, rhetorisches, poetisches oder strukturelles Problem (Steinbeck 2012) aufgefaßt werden; sie können metaphorisch als „Decrescendo“, „Gleichgewicht“ und „Crescendo“ (Wörner 1969) beschrieben, ästhetisch als Schließen, Enden oder Aufhören (Eggebrecht 1967) interpretiert oder semantisch als „relaxant“, „summative“ und „valedictory finale“ (Talbot 2001) kategorisiert werden. (Selbstverständlich immer zu ergänzen um nicht weniger vielfältige „hybrid solutions“.) Ohne sich dem lähmenden Anspruch zu stellen, eine ‚Geschichte des Schließens‘ in der Musik vollständig rekonstruieren zu wollen, möchte sich das Symposion an einer breiteren kompositions- und kulturgeschichtlichen Kontextualisierung dessen versuchen, was mit der Schlußgestaltung in der Musik jeweils bezweckt wurde und wird und auf welche Problematik sie reagiert.
Seit dem 18. Jahrhundert steht der Schluß- oder Finalbegriff nicht nur für das Ende einer ‚Aufführung‘ von Musik, sondern wird mehr und mehr als End- oder gar Zielpunkt eines als absolut empfundenen ‚Werkes‘ verstanden. Wenn der Schluß ein solches Werk nicht nur beendet, sondern im emphatischen Sinn zugleich auch vollendet, avanciert er zu einem zentralen ästhetischen Problem. Dem latenten Problembewußtsein schließen sich in der Kompositionsgeschichte zahlreiche Form- und Gattungsexperimente an. Das Verhältnis von Individualität und Konventionalität ist hierbei für die einzelne Schlußgestaltung im Kleinen wie im Großen, innerhalb und außerhalb der Werkideologie, genauer zu untersuchen. Denn zu fragen wäre darüber hinaus, welcher Stellenwert der Schlußgestaltung gerade dort zukommt, wo der Werkbegriff prekär erscheint: Das betrifft nicht nur die Musik im 20. und 21. Jahrhundert wie den auf Improvisation beruhenden Jazz oder die Neue Musik; bereits die Oper hat sich seit ihren Anfängen diesem Problem zu stellen, wodurch dem Nachdenken über die Schlußgestaltung eine im wahrsten Sinne des Wortes ‚tragende Rolle‘ zukommt.
Von hier aus ergeben sich vielfältige weiterführende Fragen: Welche Formen „offener Schlüsse“ gibt es und welchen Zweck verfolgen sie? Wie wird „Unendlichkeit“ innerhalb einer endlichen Zeitspanne darstellbar und wie endet „zeitlose“ Musik (beispielsweise die Idylle)? Läßt sich die notorisch schwierige Beziehung zwischen Zeitphilosophie und der „Zeitkunst“ Musik anhand der Analyse von Schlußbildungen auflösen? Wie verhält sich musikalisches zum logischen Schließen im Sinne der Idee einer „musikalischen Logik“?
Das Thema erscheint gut geeignet, theoretische, historische, philosophische und ästhetische Perspektiven auf die Musik in einen konstruktiven Dialog zu bringen. Das Symposion möchte daher eine Vielzahl dieser Perspektiven versammeln, zu denen beispielsweise die Entwicklung einer Takt- und Kadenzmetrik als finalgerichteter Syntax, der begriffsgeschichtliche Urspung des „Finale“ in der Oper (als Akt- und Aufführungsfinale), seine Bedeutung etwa für die Symphonie oder die Frage aufführungspraktischer Final-Konventionen auf der Bühne, in der Kirche sowie in Kammer und Konzertsaal gehören können. Ziel ist es, das Spektrum des Schließens exemplarisch auszumessen, systematisch auszudifferenzieren und von den ihm zugrundeliegenden Problemstellungen her zu interpretieren: satztechnisch zwischen Klausel und Kadenz, ästhetisch zwischen „lieto fine“ und Apotheose, historiographisch zwischen Konstruktion und Konstruktivität des Finalbegriffs – ohne das Bezeichnete und Bezeichnende des Schlusses sowie dessen musik- und kulturgeschichtliche Relevanz aus dem Blick zu verlieren.