Dissertationsprojekt von Valeria Lucentini

Diskurs über Musik und den nationalen italienischen Charakter in Reiseberichten des 17., 18. und 19. Jahrhunderts

 

Ziel dieses Projekts ist eine Geschichte des Diskurses über die Musik und den italienischen Nationalcharakter (oder Italien) in Reiseberichten des 17., 18. und 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Darüber hinaus geht es darum, die Rolle und Bedeutung herauszufinden, die Musik in diesen Quellen hat, und zu verstehen, wie sich die Präsenz und die Typologie solcher Beschreibungen von Musik verändert haben.

Italien übt bis heute eine große Faszination auf ausländische Besucher aus. Die Reise nach Italien hatte verschiedene Bedeutungen im Laufe der Zeit. Italien war die bevorzugte Station des Grand Tour, aber man reiste aus ganz verschiedenen Gründen: zur Entdeckung und Erforschung fremder Länder, aus religiösen Motiven, zum Handel – vor allem mit dem Orient – oder zum sonstigen Broterwerb, zum Besuch berühmter Metropolen und Landschaften, zur Kur und Gesundung, usw. Im Laufe des 17., 18. und 19. Jahrhunderts war italienische Musik nicht nur ein „reisendes Objekt“ und ein relevanter Gegenstand, sondern auch ein angesehenes Vorbild für den Großteil europäischer Länder, daher also ein bedeutender Grund um zur Halbinsel zu reisen. In dieser Zeit ist der ‹Nationalcharakter› der Italiener Gegenstand zahlreicher Beschreibungen ausländischer Besucher gewesen, deren Berichte die Konzepte spiegeln, die sich in verschiedenen Organisationsformen des Wissens wie den Vorläufern der Linguistik, der Naturwissenschaften und der Philosophie ausgebildet hatten.

Die Bedeutung des Grand Tour für die Bildung und das Selbstverständnis vor allem adliger Eliten in Ländern wie Großbritannien, Frankreich, aber auch dem Alten Reich ist schon seit langem anerkannt worden. Die Forschungsliteratur zum Grand Tour hat ihr Augenmerk auf Fragen der italienischen Architektur, der Bildenden Künste, der Literatur gerichtet, daneben auch soziale und politische Aspekte dieses Phänomens vom 16. bis zum 20. Jahrhundert behandelt und in seiner Bedeutung für den Kulturtransfer und die Ausprägung eines internationalen Geschmackskanons breit diskutiert. Dass auch Musik für den Grand Tour eine entscheidende Rolle spielte, ist ein offensichtlicher, doch bisher völlig unzureichend erforschter Aspekt des Phänomens. Die Auswertung zahlreicher Beschreibungen von Italien-Reisen aus dem ‹langen› 18. Jahrhundert wird es erlauben, in einer «thick description» die mit der Wahrnehmung italienischer Musik verbundenen Stereotype zu rekonstruieren und damit den Grand Tour in seiner ganzen interdisziplinären Vielfalt zu erfassen. Die Konventionen der Reiseliteratur generieren und gestalten die Wahrnehmungen des Andersseins. Die Neigung zur Generalisierung isolierter Erlebnisse oder Ereignisse könnte für einen Beitrag zur Entwicklung von Stereotypen gehalten werden: Eine solche Generalisierung ist gerechtfertigt, da Stereotype als unabhängiges Wissen dargestellt werden, die auf persönlichen Beobachtungen basieren. Andererseits mündet der Bedarf an Neuigkeit und Überraschung in Spott und Behauptungen. Dieser enger definierte Ansatz richtet sich auf das Wechselspiel zwischen historischer Kontingenz und Konvention – d. h. die Prädispositionen der Reiseliteratur als Genre.

 

 

Forschende

Betreuende